Entsteht eine „Ethik des Reparierens?“
Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann fand im Forum Siegen Antworten auf die Frage „Welche Zukünfte?“
Zum Abschluss der Vortragsreihe „Forum Siegen“ schweifte der Blick „nicht nur ins Universum, sondern auch in die Zukunft“. Diese Ausrichtung entspricht dem Buchtitel „Ist die Zukunft aus den Fugen?“ der Konstanzer Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Aleida Assmann. Begrüßt wurde der Gast von Jun.-Prof. Dr. Alexander Wohnig. Aleida Assmann zu Beginn: „Es ist nicht leicht, über die Zukunft zu sprechen, ohne in apokalyptisches Fahrwasser zu geraten.“ Damit das nicht geschehe, müssten Menschen etwas für die Zukunft tun. Dabei gebe es mehrere imaginierte Zukünfte. Aleida Assmann: „Es gibt drei Bedeutungen von Zukunft, die viele kennen, die selten aber zusammen aufgerufen werden.“
Zuvorderst ist das der Fortschrittsnarrativ mit Bruch, Wandel und Erneuerung. Der Fortschrittsnarrativ sei erschaffen worden durch die westliche Welt und umgekehrt. Er basiere auf der Annahme, dass Vergangenheit und Zukunft immer weniger miteinander zu tun hätten im Sinne von „das Alte“ und „das Neue“, wobei das Alte dem Neuen weicht. In der strikten Auslegung der 1960er Jahre durch den Historiker Rainer Kosseleck sei der Fortschrittsnarrativ „längst erloschen“, mit Blick auf technische Innovation bleibe er aber „begrenzt“ aktuell.
Die zweite Bedeutung von Zukunft basiere auf dem Gedanken der Ungewissheit und des Risikomanagements. Diese Bedeutung gehe häufig einher mit einer fatalistischen Haltung. Es gebe aber auch aktivere Formen der Zukunftsbewältigung. Meinungsumfragen und Börsenprognosen grenzten das Nicht-Wissen ein, gewährten eine gewisse Handlungssicherheit, „haben aber auch Grenzen“.
Die dritte Bedeutung der Zukunft sieht Aleida Assmann in der Nachhaltigkeit. Seit den 1970er Jahre gebe es ein „neues ökologisches Bewusstsein“. Die Zukunft stehe für Gefährdung und Verlusterfahrung, aber auch für das Prinzip der menschlichen Verantwortung. Assmann: „Vergangenheit und Zukunft werden dabei verbunden“. Der Zerstörung durch (Welt)Kriege folge nun die Zerstörung des Planeten durch Technik und Wirtschaft. Assmann: „Das ist die unreflektierte Kehrseite des Fortschritts“. Und weiter: „Man kann sich auf die Zukunft nicht mehr verlassen. Man muss dafür sorgen, dass es überhaupt noch Zukunft gibt.“ Diese Bedeutung sei überwiegend ökologisch ausgelegt, es gebe aber auch eine kulturelle Komponente.
Unter negativer Nachhaltigkeit versteht Aleida Assmann „eine Anhäufung von Dingen, die wir nicht mehr loswerden.“ Das sind sowohl Müll als auch Traumata durch Gewalteinwirkung, die der jahrzehntelangen Bearbeitung bedürften. Die negative Nachhaltigkeit von Traumata ermögliche indes auch Veränderungsräume. Assmann: „Die Bedeutung von Vergangenheit und Zukunft haben sich dramatisch verändert. Sie sind keine Gegensätze mehr.“
Die Referentin brach eine Lanze für das „Reparieren als unmodernes Konzept“. Assmann: „Das Zeitverständnis, wie wir denken und fühlen, ändert sich.“ Dafür stehe beispielsweise die Restaurierung der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die 1968 von Mies van der Rohe erbaut worden war und nun von David Chipperfield als Beitrag zu einem nachhaltigen Stadtraum „repariert“ und somit erhalten wurde.
Kann man auch Vergangenheit reparieren? Bedingt, so die Meinung der Wissenschaftlerin. Das Geschehene könne nicht rückgängig gemacht werden: „Die Gesellschaft muss sich aber selbstkritisch mit Narrativen auseinandersetzen.“ Ein anderer Blick auf das Geschehene könne heilsam sein, auch für Gesellschaften. Vielleicht, so die Hoffnung von Aleida Assmann, „entsteht eine Ethik des Reparierens“.