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„Ihr Widerstand hat sich aus den Umständen ergeben“
Die niederländische Autorin Astrid Sy las am Weidenauer FJM-Gymnasium aus ihrem Jugendroman „Nenn keine Namen“
Ist Geschichte langweilig? Keine Schülerin und kein Schüler im Lichthof des Fürst-Johann-Moritz-Gymnasiums mochte diese Frage der Autorin Astrid Sy bejahen. Das lag sicherlich (auch) in der Anwesenheit von Schulleiter Rüdiger Käuser und anderer Lehrerinnen und Lehrer begründet. Im Verlauf des Gesprächs wurde aber klar: Geschichtsunterricht besteht überwiegend aus Daten und Fakten. Die individuelle Erlebniswelt von Menschen ist nur selten Lehrstoff.
Wie solche Erlebniswelten erzählt sein können, zeigt Astrid Sy anhand ihres Jugendromans „Nenn keine Namen“. Die Handlung basiert auf tatsächlichen Geschehnissen und ist dennoch fiktiv. Während der Okkupation der Niederlande durch das nationalsozialistische Deutschland taten sich junge Niederländerinnen und Niederländer in Amsterdam zusammen, um Kinder aus einem jüdischen Waisenheim zu retten und auf dem Lande in Sicherheit zu bringen. Einige der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer wurden entdeckt, verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Nicht alle überlebten.
Astrid Sy zu ihrer Motivation, diesen Jugendroman über zehn Jahre hinweg zu schreiben: „In den Niederlanden gibt es viele Bücher über die Besatzungszeit für und über Erwachsene.“ Die jugendliche Sichtweise sei ebenfalls eindrucksvoll: „Die jungen Leute wollten leben, lieben und Freude haben. Sie hatten sich diese Zeit nicht ausgesucht, sie hatten aber keine andere zur Auswahl.“ Und weiter: „Sie wollten etwas tun, wussten aber nicht was. Ihr Widerstand hat sich aus den Umständen ergeben.“
Astrid Sy recherchierte akribisch für diesen Roman. Sie traf sich mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die heute alle nicht mehr leben. Sie bemerkte Unterschiede in der Art des Erzählens zwischen Menschen, die schon öfters über ihre Vergangenheit gesprochen hatten und solchen, die Neuland betraten. Astrid Sy: „Alle haben freiwillig berichtet.“ Für sie und ihre Romanhandlung war wichtig, individuelle Gefühle und Denkweisen kennenzulernen. Diese dann in eigene Worte und eine Handlung zu fassen, weckte Gewissensbisse: „Ich habe das nicht miterlebt.“ Die Protagonistinnen und Protagonisten erhielten im Roman neue Identitäten. Das gab der Autorin eine gewisse Distanz.
In Amsterdam begab sie sich auf Spurensuche: „Der Handlungsort Amsterdam ist echt.“ Astrid Sy arbeitete im dortigen Anne-Frank-Haus und in der Holocaust-Gedächtnisstätte. Viele Fakten und auch Biografien sind ihr bekannt. Sie suchte weiter nach historischen Filmaufnahmen aus den 1940er Jahren und nach Tagebüchern, um noch mehr Eindrücke zu sammeln. Zu Beginn der Schreibphase befand sie sich noch in ihrem Studium und war mit Nebenjobs beschäftigt: „Ich konnte nur in der verbleibenden freien Zeit schreiben.“
Besonders in Erinnerung bleiben ihr die Treffen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen: „Das war so ein bisschen wie ein Treffen mit den Großeltern.“ Bekanntlich funktioniert der Austausch zwischen Großeltern und Enkeln besonders gut. Astrid Sy traf eine Protagonistin ihres Romans, die nach ihrer Verhaftung gemeinsam mit einer Freundin ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert worden war und über Überlebenstaktiken berichtete. Sie traf einen Fälscher, der Dokumente für die geretteten jüdischen Kinder erstellte, und in dessen Werkstatt sich Widerstandskämpferinnen und -kämpfer trafen. Die Verhaltensregel besagte: keine Fahrräder vor der Tür abstellen. Als Erkennungszeichen galt eine Melodie.
Die Schülerinnen und Schüler des FJM-Gymnasiums hatten etliche spannende Fragen dabei und ließen sich von der englischen Sprache der Lesung und der Diskussion nicht schrecken. Auch nach der Veranstaltung war es an Astrid Sy, viele Fragen zu beantworten und das eine oder andere Buch zu signieren.
Moderiert wurde die Lesung von Prof. Dr. Daniel Stein. Verantwortlich für die Veranstaltung zeichneten Dr. Jana Mikota und das Haus der Wissenschaft der Universität Siegen. Finanziert wird die Lesungsreihe YoungPoetry von der Dieter-und-Christa-Lange-Stiftung.